Über den Durst

Über den Durst

Sind wir ausreichend flüssig? Nur wer genug trinkt, hält sich richtig fit. Doch wie viel ist genug?

Richtig zufrieden schaut das kleine Pflänzchen aus: saftig grün, prall und bereits ein paar Blätter größer als tags zuvor. Auch ihr Gegenüber, der App-User, ist zufrieden: Wieder eines von insgesamt 18 Gläsern geleert, bleiben nur noch acht für den Rest des Tages! Die Trink-App auf dem Handy quotiert es anerkennend, indem das kleine animierte Pflänzchen dank der regelmäßigen Wasserduschen wächst und gedeiht. Das Wichtigste jedoch, ihr Pfleger, nähert sich seinem errechneten Ziel, etwa zweieinhalb Liter am Tag zu trinken. Diese Menge war für ihn früher nahezu utopisch.
Obwohl die Statistiker den Deutschen einen über Jahre stetig steigenden Getränkekonsum attestieren, ist ausreichend und richtig Trinken ein Problem, das offenbar viele Menschen beschäftigt. Mehr als eine Millionen Mal, so der Anbieter der Trink-App, sei diese bislang heruntergeladen worden. Und sie ist bei Weitem nicht die Einzige. Im Netz tummeln sich zahlreiche kleine Programme, die uns im Alltag helfen sollen, etwas eigentlich ganz urtümlich Natürliches nicht zu überhören: unseren Durst.

Wie viel sollen wir trinken?

Haben wir verlernt, das eigene Gefühl für die täglich notwendige Wasserzufuhr zu spüren und darauf angemessen zu handeln? Fast scheint es so. Unsicherheit besteht bereits, wird nach dem täglichen Flüssigkeitsbedarf gefragt. Wie auf einem Basar fallen unterschiedlichste Mengenangaben, meist von einem bis drei Litern. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) betont eine Mindesttrinkmenge von einem Liter pro Tag, besser wären eineinhalb Liter. Einzelne Mineralwasseranbieter propagieren, gestützt auf eigens mit wissenschaftlichen Instituten erarbeitete Studien, eine höhere Zufuhr über Getränke, mit dem Hinweis, „bereits vor dem Durst zu trinken“.
Das lässt manchen zweifeln, ob der Flüssigkeitspegel im Lot liegt. Die Krux: Der persönliche Getränkebedarf hängt genau wie der tägliche Kalorienbedarf von zahlreichen individuellen Faktoren ab. Zunächst zählen das Gewicht und die Größe. Ein passender Daumenwert aus der Ernährungsmedizin liegt bei täglich 30 bis 40 Milliliter Wasser pro Kilogramm Körpergewicht. Aber auch Umgebungstemperaturen, das Alter, das Geschlecht und der Aktivitätsgrad, sogar die Art der Kleidung spielen eine Rolle. Außerdem der Faktor Ernährung. Schließlich trägt eine Suppe weitaus mehr zur Wasserbilanz bei als ein Stück Brot. Die Menge an Salz im Essen bestimmt darüber hinaus, ob ein Plus an Wasser erforderlich ist. Das lässt starre Trink-Empfehlungen eher staubig aussehen.
Dass wir täglich ausreichend Wassernachschub brauchen, ist unumstritten. Vieles im Körper will schwimmen: Zuerst die Nährstoffe, um nach der Verdauung zu den Körperzellen zu gelangen, zudem wichtige Botenstoffe, um den Zielorganen die richtigen Befehle zu übermitteln, und schließlich der Stoffwechselmüll, der aus dem Weg geschafft werden soll. Daher ist Wasser überall: in den Zellen, zwischen den Zellen, in Blut, Lymphe und Urin und in den Verdauungssäften.

Wasser bringt Leistung

Der Erwachsene besteht zu mehr als 60 Prozent aus Wasser, Kinder sogar zu 70, im hohen Alter nur zu etwa 50 Prozent. Sind wir nicht ausreichend „flüssig“, läuft alles irgendwie „zäh“, dann sind wir körperlich und geistig weniger leistungsfähig. Schüler erzielten in Untersuchungen bessere Lernerfolge, wenn sie regelmäßig Wasser tranken. Erwachsene zeigten bei experimentellen Wasserdefiziten eine schlechtere Informationsverarbeitung, die Arbeit wurde langsamer und die Übersicht blieb eher auf der Strecke. Zudem waren sie anfälliger für Kopfschmerzen. Reduziert sich das körpereigene Wasser um mehr als 15 Prozent, dann wird es sogar lebensbedrohlich. Ohne Flüssigkeitszufuhr überleben wir, je nach Außentemperatur und Klima, maximal vier Tage.
Selbst wenn wir es wollten, gegen Wasserverlust ist der Körper machtlos. Die Schleusen der Haut können wir nicht schließen, denn über Verdunstung wird eine lebensnotwendig gleichmäßige Körpertemperatur erhalten. Im Körper unerwünschte Stoffwechselprodukte entsorgt die Niere – bei Flüssigkeitsmangel stärker konzentriert – fortwährend über den Harn und mit jedem Atemzug machen sich weitere wertvolle Tröpfchen auf und davon. Ernährungsmediziner gehen davon aus, dass dem Körper täglich etwa zwei bis zweieinhalb Liter Wasser flöten gehen. Bei körperlicher Anstrengung und warmen Temperaturen sogar etliches mehr.

Durst nicht ausblenden

Durst entsteht, wenn der Körper mehr als zwei Prozent seines Wassers verliert. Kinder nehmen ihn manchmal nicht wahr, weil ihr Spiel zu spannend ist. Erwachsene blenden Durst aus, wenn die Arbeit alle Sinne bindet. Der Königsweg fürs Trinken scheint simpel, ist jedoch für manchen eine echte Herausforderung: Die Achtsamkeit im Alltag schärfen und das Nachtanken zur Selbstverständlichkeit werden lassen.
Um nicht trocken zu laufen, nach Möglichkeit immer ein Getränk – am besten Mineral- oder Leitungswasser, verdünnte Fruchtsaftschorlen oder Kräuter- und Früchtetee – in erreichbarer Nähe platzieren. Ein prüfender Blick beim Wasserlassen warnt, wenn der Urin kräftig-dunkel gefärbt ist, anstelle von hell und klar. Zum Test dürfen Sie sich auch mal kneifen. Mit Daumen und Zeigefinger eine Hautfalte am Unterarm bilden und loslassen. Verschwindet sie sogleich? Alles o.k.! Bleibt sie eine Zeit lang stehen? Dann ist es höchste Zeit für Flüssiges!